Berlin. Warum wir zufrieden, ja regelrecht glücklich sein können mit unserem Grundgesetz, sagt Jochim Stoltenberg.

Sie waren ganz schön trinkfest, die vier Mütter und 41 Väter des Grundgesetzes. Auf Wunsch standen ihnen bei ihrer Arbeit für den demokratischen Neubeginn täglich ein Liter Bier und eine halbe Flasche Wein zu. Und äußerst beengt saßen sie auch.

Jeder Fraktion war ein Klassenzimmer in der von Kriegsbomben verschont gebliebenen Bonner Pädagogischen Hochschule am Rheinufer zugewiesen, Einzelbüros für die Abgeordneten gab es nicht. Dennoch haben sie Großes abgeliefert. Das heute vor 70 Jahren verkündete Grundgesetz bildet noch immer das Fundament, auf dem unsere freiheitliche Demokratie fest wie noch nie in der deutschen Geschichte steht.

Es sind die Lehren aus der gescheiterten ersten deutschen Demokratie, der Weimarer, mit dem Abgleiten bis in die NS-Diktatur, die das Grundgesetz zu einem Manifest für Demokratie und Freiheit gemacht haben. Im Zentrum steht dabei der Grundrechtskatalog (Artikel 1 bis 19) von der unantastbaren Menschenwürde über die Meinungs- und Pressefreiheit bis zur friedlichen Versammlungsfreiheit.

Dabei darf das Grundgesetz trotz des ihm immanenten Wertekanons nicht als Leitkultur für unser Gemeinwesen interpretiert werden. Es garantiert vielmehr Pluralität der Meinungen, der Interessen, auch der Religionen. Alles Bürgerrechte, die staatliches Handeln begrenzen, die Bürger vor staatlicher Willkür oder Machtmissbrauch schützen. Das bedeutet, dass auch Minderheiten nicht benachteiligt werden dürfen, dass Unpopuläres geduldet werden muss.

Aber Freiheit ist in Gefahr, wenn sie grenzenlos ist. Deshalb sind aus verhängnisvoller Erfahrung Barrieren eingebaut. Verfassungsfeinde verwirken ihre Grundrechte, das Grundgesetz selbst darf nur mit doppelter Zweidrittel Mehrheit in Bundestag und Bundesrat geändert werden. Sein Kern ist selbst davor geschützt. Artikel 1 (Menschenwürde) und Artikel 20 („Die die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“) sind in Granit gemeißelt, unveränderbar. Dieser Artikel 20 beinhaltet gar ein Widerstandsrecht gegen Feinde, die Demokratie und föderalen Bundesstaat beseitigen wollen.

Einst als Provisorium angelegt

Was als Provisorium einst im geteilten Deutschland angelegt war, ist über die Jahrzehnte zu einer allseits anerkannten, respektierten und gewürdigten Dauerlösung auch im wiedervereinigten Deutschland geworden, zur Verfassung der Deutschen. Auch wenn dieser Begriff formal (fehlende Volksabstimmung) nicht ganz korrekt ist. Dazu hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht beigetragen, das als letzte Instanz über die den Bürgern garantierten Grundrechte wacht.

Dabei erweist sich das Grundgesetz erstaunlich anpassungsfähig und damit zukunftsoffen. Über die Grundrechte hinaus regelt es klugerweise konkret relativ wenig, lässt so Raum für politisches Handeln; Zweidrittel Mehrheiten vorausgesetzt. 62-mal ist es in 70 Jahren geändert oder ergänzt worden – von der Wehrverfassung (1956), Notstandsgesetzgebung (1968) bis zum Einigungsvertrag (1990) und jüngst dem Digitalpakt.

Wir können also zufrieden, ja glücklich sein mit unserem Grundgesetz, unserer Verfassung. Dennoch gilt es angesichts von wachsendem Populismus, emotionalen Stimmungslagen und aggressiven sozialen Netzwerken, wachsam zu bleiben. Das gilt für alle Demokraten. Um nicht zu gefährden, worauf unsere Freiheit basiert.

Übrigens: Ein Blick ins Grundgesetz lohnt sich immer. Und kann auch in strittigen Fragen wie der Enteignungsdiskussion in Berlin helfen. In der Landeszentrale für politische Bildung an der Hardenbergstraße liegt es kostenlos aus.