Berlin. Die Kritiker der Berliner Verkehrspolitik sehen sich durch Stellungnahme des Ministeriums bestätigt. Wegner: „Ideologische Gründe“

Die Diskussion über Tempo 30 in Berlin reißt nicht ab, seit die Senatsverkehrsverwaltung die neue Geschwindigkeitsbegrenzung vergangene Woche auf einem Abschnitt der Leipziger Straße angeordnet hat. Nun hat sich auch das Bundesverkehrsministerium zu Wort gemeldet. „Erfahrungsgemäß nutzen Kfz-Führer bei Tempo 30 vielfach den zweiten Gang und fahren damit zu hochtourig“, heißt es in einer Stellungnahme auf eine Anfrage des Berliner Bundestagsabgeordneten Kai Wegner (CDU), die der Berliner Morgenpost vorliegt. Da der dadurch erhöhte Kraftstoffverbrauch auch zu höherem Schadstoffausstoß führe, würden viele Straßenverkehrsbehörden aus Luftreinhaltungsgründen Abstand davon nehmen.

Die Kritiker von Tempo 30 fühlen sich damit bestätigt. Die Einschätzung des Bundes verdeutliche, dass Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) „ausschließlich aus ideologischen Gründen gegen das Auto“ handele, sagt Wegner. Offenbar wolle der rot-rot-grüne Senat damit Fahrverbote vorbereiten und geradezu provozieren. „Denn wenn Autos hochtourig fahren und somit mehr Emissionen erzeugen, wird der Senat irgendwann sagen, wir haben es versucht, aber nun können wir nicht anders als Fahrverbote erteilen“, so Wegner.

Verkehrsverwaltung prüft, welche Straßen gesperrt werden könnten

Tatsächlich prüft die Verkehrsverwaltung derzeit, welche Straßen für Diesel-Fahrzeuge gesperrt werden könnten. Denn der Hauptstadt drohen angesichts der ständigen Grenzwert-Überschreitungen beim giftigen Stickstoffdioxid sogar gerichtlich verhängte Fahrverbote. Von der Tempo-30-Maßnahme ist man trotzdem überzeugt, und verweist dabei auf Versuche in der Vergangenheit. So wurde zwischen 2006 und 2008 auf drei Hauptverkehrsstraßen die Belastung unter Einführung von Tempo 30 gemessen. An der Neuköllner Silbersteinstraße sank die Stickstoffdioxid-Konzentration demnach um 16 Prozent, an der Schildhornstraße in Steglitz um sechs Prozent, während sie an der Beusselstraße in Moabit stagnierte. Der Beitrag des Verkehrs zur Luftbelastung ging um bis zu 28 Prozent zurück.

Die Verkehrsverwaltung argumentiert, dass ihr Versuch die deutschlandweit einzige Auswertung der Wirkung von dauerhaftem Tempo 30 auf die Luftqualität an Hauptverkehrsstraßen sei. Das Argument des untertourigen Fahrens wollen die politisch Verantwortlichen nicht gelten lassen. Es gebe keine sicheren Daten, dass bei Tempo 30 in der Regel im zweiten Gang gefahren werde. Vielmehr sei davon auszugehen, dass viele Autofahrer „inzwischen gelernt haben, dass mit heutigen Motoren und Getrieben Tempo 30 auch gut im dritten Gang fahrbar ist“.

Das Bundesverkehrsministerium merkt außerdem an, dass umso weniger Abgase ausgestoßen werden, je weniger beschleunigt und abgebremst wird. Dazu hatte der Senat 2014 die Fahrdynamik auf den Tempo-30-Hauptstraßen untersucht. Ergebnis: Auf Schildhornstraße und Beusselstraße sei mit konstanterer Geschwindigkeit gefahren worden als auf parallel untersuchten Tempo-50-Straßen. Zusammen mit grüner Welle könne Tempo 30 dazu beitragen, dass ruhiger gefahren werde. Erwiesen ist aber auch, dass bei konstantem Verkehrsfluss über einen längeren Zeitraum unter Tempo 50 noch weniger Abgase erzeugt werden. Dies könne zwar für Ausfallstraßen zutreffen, heißt es dazu in der Verkehrsverwaltung, nicht aber für innerstädtischen Verkehr mit Kreuzungen, Staus und Störungen.

Während über die Wirksamkeit von Tempo 30 zur Luftreinhaltung noch gestritten wird, sind sich die Bezirksverordneten in Mitte mehrheitlich sicher: Sie haben am Donnerstagabend einen Dringlichkeitsantrag der Grünen zur Verlängerung der Tempo-30-Strecke auf der Leipziger Straße bis zur Höhe Spittelmarkt zugestimmt. „Nun ist der Senat aufgefordert zu prüfen, wie die Verlängerung des Testbereichs umgesetzt werden kann“, sagt Johannes Schneider, Fraktionssprecher der Grünen in Mitte.

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